Sieben Tipps für eine Radreise durch den (gesamten) Irak

Dieser Artikel erscheint auch auf Velospektive.

Vor zwei Jahren habe ich noch davon abgeraten, die Regionen außerhalb der kurdischen Autonomieregion mit dem Fahrrad zu bereisen. Mittlerweile haben das allerdings einige meiner WarmShowers-Gäste getan. Mark Tiburski hat darüber berichtet, einige weitere sind ohne es ausführlich zu dokumentieren auf vier Rädern von Nord nach Süd gereist, ein paar wenige sogar auf zwei Rädern. Und auch ein Kurde aus Dohuk hat im Jahr 2022 alle Provinzen des Landes mit dem Rad durchquert (siehe hier).

Es ist mittlerweile also durchaus möglich, den gesamten Irak mit dem Fahrrad zu bereisen. Allerdings gilt es einiges zu beachten. Ich will hier ein paar hilfreiche Tipps zur Verfügung stellen. Doch Vorsicht: Ich selber bin (noch) nicht im südlichen Teil des Landes mit dem Fahrrad unterwegs gewesen. Ich gebe hier gebündelt Erfahrungsberichte von anderen weiter. Zudem verändert sich die Sicherheitslage ständig. Ich schreibe hier als Privatperson und gebe den Stand vom April 2024 wieder, zusätzlich sollten die behördlichen Angaben und aktuelle Warnungen beachtet werden.

1. Visum – am einfachsten mit dem Flieger nach Bagdad

Schon seit langem gibt es ein Visa on Arrival für den Nordirak, und das sowohl für Einreisen über Land als auch mit dem Flugzeug. Man zahlt im Moment gut 70 US-Dollar und erhält ein 30-Tages-Visum.

Zusätzlich kann man seit kurzem dasselbe Visum vorher online beantragen (und zwar hier https://visit.gov.krd/). Es wird darauf hingewiesen, dass die Beantragung einige Tage dauern kann, meiner Erfahrung nach erhalten es deutsche Staatsbürger aber gewöhnlich innerhalb von Minuten ins Mail-Postfach geliefert. Ich empfehle diese Beantragung im Vorhinein, da man an der Grenze bzw. am Flughafen selber nur mit Kreditkarte zahlen kann. Einige Anbieter sperren die Kreditkarten allerdings für einen Einsatz im Irak. Unter Umständen steht man dann also an der Grenze und muss sich von jemand anderem die Kreditkarte leihen – oder wieder zurückreisen.

Seit 2022 bietet auch der Süden ein Visa on Arrival an – zu einem ähnlichen Preis, dafür aber für 60 Tage. Allerdings erhält man dieses nur, wenn man per Flugzeug in Bagdad oder Basra landet. Das bedeutet: Man kann nicht in den Nordirak einreisen und von dort aus weiter in den Süden fahren, das Visum, das man an der Landesgrenze erhält, gilt nur für die kurdische Autonomieregion. Man müsste in einen Flieger in Erbil oder Suleiymania steigen und nach Bagdad fliegen, um dort das Visum für den gesamten Irak zu erhalten. Mit diesem kann man wiederum ohne Einschränkungen auch in den Norden.

Es empfiehlt sich also für jene, die das gesamte Land bereisen wollen, von Vornherein mit dem Flugzeug in den südlichen Teil des Landes zu fliegen. Zudem ist es möglich, das Irak-Visum vorher – bspw. in der Türkei – zu beantragen. Dann kann man auch per Land und über den Norden einreisen. Einige meiner Gäste haben mir allerdings berichtet, dass das aufwändig ist und dessen Ausstellung durchaus einige Wochen dauern kann. Eine rechtzeitige Beantragung ist also angeraten.

2. Geld – am besten Euro oder Dollar mitbringen

Durch Jahrzehnte lange Restriktionen verfügen im Irak immer noch nur ganz wenige über ein Bankkonto oder eine Kreditkarte. Das bedeutet, dass auch das Geldabheben an Automaten und noch mehr das Zahlen mit Kreditkarte ganz selten möglich ist. Auch wenn es sich die letzten Jahre ein wenig ändert, der Irak ist weiterhin ein Bargeldland. In Wechselstuben türmen sich für gewöhnlich Meter hoch die Dinar-, Dollar- und Euro-Scheine, was Gäste regelmäßig zum Staunen bringt.

Es empfiehlt sich also, Euro oder Dollar in bar mitzubringen. Die gute Nachricht dabei: Es existiert landesweit ein inoffizieller Wechselkurs, der für gewöhnlich etwa 15% über dem offiziellen liegt. Man bekommt also relativ viele Irakische Dinars für seine Euros bzw. Dollars.

Zumindest im Nordirak bietet jede Wechselstube (außerhalb der Flughäfen und Grenzübergänge) immer fast exakt den gleichen Kurs an, man muss also nicht Kurse zwischen den verschiedenen Anbietern vergleichen, sondern kann getrost zur erstbesten gehen.

3. Checkpoints und Milizen – unbedingt Geduld mitbringen

Der Irak wird nicht von einem Militär, sondern von verschiedenen Gruppierungen und Milizen kontrolliert. Im Norden ist es relativ einfach, dort sind es immer – zumindest an Checkpoints – Peshmerga-Soldaten. Im Süden dagegen kontrollieren neben dem irakischen Militär auch iranische Milizen und weitere kleine Gruppierungen Checkpoints und Regionen.

Das hat zur Folge, dass man je nach Regionen in sehr kurzen Abständen auf Checkpoints stoßen kann. Als Radfahrer muss man sich darauf einstellen, immer gestoppt, ausführlich befragt und kontrolliert zu werden. Mit dem Irak-Visum hat man theoretisch überall hin Zugang, in der Praxis sieht das aber anders aus: Manchmal wird einem die Weiterfahrt verwehrt (siehe im nächsten Abschnitt, wo genau).

Generell ist zu empfehlen, geduldig und ruhig zu bleiben. Wird den Soldaten klar, dass man als Fahrradtourist das Land bereist, haben sie wenn überhaupt Sorge um einen, nicht aber Angst vor einem. Und gerade die Sorge um einen führt manchmal dazu, dass man nicht durchgelassen oder dass einem der Umstieg auf einen Pick-up aufgezwungen wird.

Zusätzlich zur Gelassenheit rate ich dazu, Angebote zum Teetrinken – nach dem ersten freundlichen Ablehnen, was kulturell normal ist – nicht abzuwehren. Denn gerade ein hastiger, genervter Reisender macht sich verdächtig bzw. muss mit Unfreundlichkeit von der Gegenseite rechnen.

4. Regionen und Strecken, die es zu vermeiden gilt

Gerade hier fallen präzise Angaben schwer. Aber ich versuche es trotzdem ganz grob:

Im Norden sind die höheren Berge (wie etwa die Regionen nördlich der Straße, die von Amediye nach Barzan führt) zu meiden. Dort kommt es zu regelmäßigen Bombardierungen durch die Türkei. Es gibt vereinzelt Täler, Dörfer und Regionen, die sicher sind, dazu sollte man die Menschen vor Ort befragen.

Zusätzlich ist die Region zwischen der Autonomieregion im Norden und dem Süden kritisch, es befinden sich dort vereinzelt sogenannte IS-Schläferzellen.

Die Region Shingal (auf Arabisch: Sinjar) wird durch besonders viele verschiedene Milizen kontrolliert, seitdem der IS dort besiegt wurde. Mit ziemlicher Sicherheit würde man dort früher oder später an einen Checkpoint gelangen, an dem einem die Weiterfahrt verwehrt wird.

Von vielen Reisenden habe ich außerdem gehört, dass die Region um Kirkuk vermieden werden sollte.

Ganz allgemein gilt es zusätzlich zu beachten, dass im Irak besonders viele unentdeckte Minen im Boden schlummern. Man sollte also nirgendwo Straßen und Wege verlassen, zu denen man nicht vorher Einheimische auf ihre Sicherheit hin befragt hat.

Überdies gibt es viele Militärgebiete, welche im Irak oft nicht deutlich gekennzeichnet sind. Ich hatte im letzten Jahr einen Gast, der ein wenig wandern gegangen ist, plötzlich vor einem Soldaten stand, festgenommen und stundenlang befragt wurde, wieso er einfach ein Militärgebiet betreten habe. Es gilt also grundsätzlich: Niemals Wege verlassen oder einsame Regionen betreten, ohne sich vorher ausführlich erkundigt zu haben.

5. Kulturell angemessenes Verhalten

Der Irak ist eines der gastfreudlichsten Länder der Welt. Alle meine Gäste berichten mir, dass sie von Einladungen und Angeboten zur Hilfe nur so überhäuft werden. Wenn man es darauf anlegt, kann man durchaus durch das Land reisen, ohne jemals für Essen oder eine Übernachtung zu bezahlen.

Doch wie in jedem Land sollte man sich als Reisender auch im Irak auf grundlegende kulturelle Erwartungen und Verhaltensweisen einstellen und in gewisser Weise daran anpassen. Dies ist nun ein ganz weites Feld, an anderen Stellen findet man ausführlichere Informationen über das generelle Reisen und Leben im Nahen Osten und in islamisch geprägten Kulturen – unbedingt vorher schlaumachen!

Ich will nur darauf hinweisen, dass der Irak (und besonders der Nordirak) zwar für viele „Westler“ überraschend modern und auch religiös liberal wirkt; trotzdem halte ich es für ratsam, einen nicht allzu freizügigen Kleidungsstil zu wählen. Viele Frauen im Nordirak sind zudem unverschleiert; trotzdem wird der Kontakt zwischen Mann und Frau in der Öffentlichkeit viel konservativer gehandhabt…

Allgemein weiß ich nach fast vier Jahren im Land zudem: Fragt man Einheimische direkt, erhält man oft folgende Antwort: „Natürlich kannst du das hier machen, das ist gar kein Problem.“ Doch das ist oft eine Antwort, die von der Absicht geprägt ist, ein möglichst modernes Bild des eigenen Landes zu zeichnen, an dem ein Gast aus dem Westen keinen Anstoß nimmt. Sprich: Man sollte nicht meinen, dass Dinge schon okay sind, nur weil ein Einheimischer sich nicht dagegen ausspricht. Der Irak ist ein Land, in dem extrem indirekt kommuniziert wird.

6. Die beste Jahreszeit zum Reisen

Das will ich ganz kurz beantworten: Den Süden kann man am besten im Winter bereisen, dann wird es tagsüber selten wärmer als 20 Grad. Im Sommer ist es dagegen fast unmöglich mit dem Rad zu fahren, tagsüber sind es dann kontinuierlich 45 Grad und heißer. Man müsste also früh morgens und kurz vor Sonnenuntergang fahren – und würde trotzdem sehr leiden.

Im Norden kann es zwischen Dezember und Februar für Radreisen schon etwas zu kalt sein, in den höheren Lagen ist zudem die Wahrscheinlichkeit für Schneefall relativ groß. Der Oktober, November, März, April und Mai sind also die besten Monate für eine Radreise im Norden.

Übrigens: Der Fastenmonat Ramadan ist gar keine schlechte Zeit für eine Reise durch das Land. Denn zum einen sind Reisenden vom Fasten ausgenommen. Zum anderen freuen sich alle Irakis mulimischen Glaubens, das Fasten nach Sonnenuntergang mit einem solch exoten Gast wie einem Radreisenden zu brechen. Man kann sich während dieser Zeit also fast sicher sein, abends zu einem riesigen Essen eingeladen zu werden.

7. Sei bereit, Pläne über Bord zu werfen

In den letzten Jahren haben mich immer wieder Nachrichten von Europäern und Amerikanern erreicht, die eine Irak-Reise mit allen möglichen Details wie Busreisen und Hotelübernachtungen vor der Ankunft im Land planen wollten. Eine gewisse Planung ist ohne Probleme möglich und auch sinnvoll, von allzu viel Planerei rate ich aber ab.

Denn zum einen lässt sich vieles einfach nicht aus der Ferne herausfinden oder buchen. Zum anderen nimmt einem das aber auch die tolle Erfahrungen, sich in gewisser Weise von der Hilfsbereitschaft der Iraker abhängig zu machen. Kommt man mit einem ungefähren Plan, entscheidet aber alles weitere spontan und auf Grund von Gesprächen mit Leuten vor Ort, wird man recht schnell feststellen, dass es für alles eine kurzfristige Lösung gibt – in den meisten Fällen sogar eine bessere, als man sie zuvor hätte planen können.

Kommunikation ist dabei entscheidend. Falls man kein Arabisch spricht, hilft Google Translator. Im Norden sprechen viele nur Kurdisch, da hilft Google nur bedingt. Doch es wird schnell jemand hinzu- oder angerufen, der Englisch oder sogar Deutsch spricht. Also keine Sorge!

Noch ein Wort zum Zelten: Ich würde im Irak niemals mein Zelt an einem einsamen Ort aufschlagen, ohne vorher Einheimische um Erlaubnis gefragt zu haben. Allerdings führt das meistens dazu, dass es einem verwehrt wird, im Zelt zu übernachten, sondern man wird ins Haus eingeladen, ja geradezu dazu genötigt. Aber auch das gehört zu einer Reise durch den Irak einfach dazu.

Zusatz: Falls es mit dem Fahrrad nicht weitergeht

Ich hoffe es wurde klar, dass eine Radreise durch den Irak mit gewissen Einschränkungen mittlerweile möglich ist.

Falls es doch mal nicht weitergeht oder man eine bestimmte Region ungern auf zwei Rädern durchqueren würde: Ich hatte in den letzte drei Jahren sehr viele Gäste, die teilweise oder sogar ganz per Anhalter, mit Taxis, Bussen oder sogar mit dem Zug (es gibt eine Strecke von Bagdad nach Basra) durch den Irak gereist sind. Das funktioniert alles sehr gut.

Womöglich ist das für einige auch eine Option: Bestimmte Regionen mit dem Rad erkunden, für andere Strecken dagegen von vornherein eine Fahrt auf vier Rädern oder Schienen einzuplanen.

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